Die baulichen Veränderungen – Ausdruck des Endes der Blütezeit des Walbecker Stifts
Ausgang des 13. Jahrhunderts tritt uns die Kirche mit völlig verändertem Aussehen entgegen. Die Westturmfront ist bis auf die heutigen Mauerreste, die den Abschluß der Ostwand des Schiffes bilden, verschwunden. Neben den bisherigen außerordentlich kleinen Kreisfenstern wurden in die Schiffswände weite und hohe Rundbogenfenster eingebrochen. Im Rahmen umfangreicher Instandsetzungsarbeiten erfolgte auch die Erneuerung des westlichen Triumpf-bogens. Die Arbeiten lassen die Tätigkeit handwerklich hervorragender Kräfte erkennen. Von dem stolzen wehrhaften Kirchenbau blieb dennoch nur ein Torso. „Damals hat das Gebäude seinen festungsartigen fast öffnungslosen Charakter verloren.“ (Feldtkeller, S. 14)
Was waren die Ursachen?
„Mit dem Tode des Pfalzgrafen Adalbert war im Jahre 1179 das Walbeck-Sommerschenburger Geschlecht im Mannesalter ausgestorben. Sein Erbe ging verschiedene Wege.“ (Grosse, S. 17)
An der Walbecker Burg war besonders der Welfe Heinrich der Löwe (Braun-schweig) interessiert. Im 13. Jahrhundert finden wir sie in den Händen seines Sohnes, Kaiser Otto IV. wieder. Er vertrieb die Stiftskanoniker aus den Gebäuden der Burg und baute sie zu einem militärischen Stützpunkt gegen das feindliche Magdeburg aus. 1213 überfiel der Drost des Madeburger Erzbischofs die Burg und zerstörte sie. „Burg und Stift bekamen für kurze Zeit auf einmal eine über das Lokale hinausgehende Bedeutung.“ (Feldtkeller, S. 13) Während im Testament Otto IV. der Wiederaufbau der Burg eine Rolle spielte, findet 1219 auf dem Goslaer Reichstag zwischen Kaiser Friedrich II. und dem Halberstädter Bischof ein Vergleich mit dem Ergebnis statt, die Burg Walbeck völlig zu zerstören und nicht wieder aufzubauen. 1229 geben sich der Magdeburger Erzbischof und der Halberstädter Bischof, deren Domstift seit 1224 den Propst für Walbeck stellt, das gleiche Versprechen. „Damit schließt auch die Geschichte des Stammsitzes der gerade 50 Jahre vorher ausgestorbenen Walbecker Grafen. Das von der Vogtei befreite Stift hatte allein das Feld behalten.“ (Grosse, S. 17) Doch mit dem nunmehr gestutzten Kirchenbau, der nur noch gottesdienstlichen Zwecken dienen sollte und ohne die befestigte Burg, war auch die Blütezeit des Stiftes vorüber.
Unruhe und Leiden für das Stift
Ausgang des 12. Jahrhunderts „werden dem Stift die Kämpfe zwischen Albrecht dem Bären und den Sachsen um die Erbschaft der Sommerschenburger Pfalzgrafen, ferner die Streitigkeiten zwischen Heinrich dem Löwen (Braunschweig) und dem Erzbischof Wichmann (Magdeburg) Unruhe und Leiden gebracht haben. Der Kampf um Haldens-leben und die Zerstörung Helmstedts 1199 führten wieder Kriegsvolk in die Gegend. Es wird auch hier nicht ohne Belästigung des Stiftes abgegangen sein. Als aber der Krieg Ottos IV. gegen den Magdeburger Erzbischof von neuem entbrannte, sollte es mit der Blüte des Stiftes ein Ende haben. Otto der IV. hatte den Stiftsherren die Burg entrissen und, wie die Magdeburger Schöppenchronik berichtet, in eine Raubburg verwandelt. Der Drost des Erzbischofs mußte 1213 gegen sie zu Felde ziehen und ihm gelang bei einem Überfall die Zerstörung.“
( Hans Feldtkeller S. 12/13)
„Die Stiftsherren werden…vor allem aus Not ihre zerstörten Wohnungen neben der Stiftskirche verlassen haben und nach dem Tal gezogen sein. Immerhin hat der Halberstädter Bischof Wert auf die Erhaltung des Walbecker Kapitels als vorgescho-benen Posten seiner Diozöse gelegt. So schließt das Halberstädter Domstift 1224 mit den Walbecker Stiftsherren einen Vertrag ab, nach dem nur ein Halberstädter Domherr zum Propst in Walbeck gewählt werden soll. Als Gegengabe erhält das Stift zwei Archidiakonate. Den Stiftsherren wurde also geholfen, und auch Bischof Meinhardus konfirmierte 1241 dem Stift eine seiner wesentlichen späteren Einnahmen, den Zehnten von Weferlingen.“
( Hans Feldtkeller S. 13 )
Die Not muß aber trotzdem so groß gewesen sein, daß die Stiftsherren ihre alte Gründungsstätte sogar verlassen und nach Osterwieck aussiedeln wollten. Ihr Ausharren in Walbeck ist dann aber doch belohnt worden. Zum Ende des 13. Jahrhunderts wird nach umfangreichen Wiederherstellungsarbeiten und tiefgreifenden baulichen Veränderungen von einer neuen Kirchenweihe berichtet, die der Halberstädter Bischof Volrad selbst vornahm. Ruhe sollte trotzdem nicht auf dem Domberg einkehren. Das jetzt unbewehrte Stift war zahlreichen kriegerischen Übergriffen ausgesetzt.
Die Belagerung Helmstedts 1288 bracht ebenfalls fremde Truppen in Stiftsnähe.
„Erst um die Jahrhundertwende kehrte auf dem Burgberg der Friede wieder ein, und der Propst, dem als besondere Auszeichnung die Inful1 verliehen worden war, konnte das Stiftsleben im hergerichteten Gotteshaus einer ruhigen Zeit entgegenführen. Allerdings war der Höhepunkt in der Entwicklung des Stiftes überschritten.“
( Hans Feldtkeller S. 14 )
1 auch Infel – Priesterbinde oder Bischofsmütze